# 23 (25. März 2001)
 

Am 20. Oktober 1979 stand Andy Kaufman auf der Bühne der Fernsehshow Saturday Night Live und forderte die gesamte weibliche Menschheit zum Ringkampf auf. Er trug den knöchellangen Bademantel seines Großvaters und lange weiße Unterhosen, über die er eine schwarze Turnhose gezogen hatte. Wie in alten Jahrmarktszeiten wettete er, daß keine Frau länger als drei Minuten gegen ihn aushalten würde. Es mußten Frauen sein, weil er gegen einen Mann womöglich hätte verlieren können. Außerdem wollte er ein Exempel statuieren, denn die Männer seien Waschlappen und Weicheier, weil sie es zugelassen hätten, daß die Frauen die selben gesellschaftlichen Rechte in Anspruch nahmen. So hatte er es sich mit beiden Geschlechtern verscherzt. Manche sagen, dieser Abend wäre der Anfang vom Ende der Karriere des Komikers Andy Kaufman gewesen. Das ganze Land haßte ihn dafür, daß er monatelang eine Frau nach der anderen zu Boden drückte (wobei man manchmal gewisse Auswüchse seines Vergnügens beobachten konnte). Dem Wrestling-Champion Jerry Lawler war die Show irgendwann so zuwider, daß er Kaufman schließlich zu einem Kampf Mann gegen Mann herausforderte. Andy Kaufman wurde so übel zugerichtet, daß er eine Halskrause tragen mußte, was Lawler jedoch nicht davon abhielt, ihm in der Letterman-Show noch einmal einen Haken zu verpassen. Alle freuten sich, daß das Großmaul mal so richtig verdroschen wurde. Später stellte sich dann die Feindschaft als ein von beiden geplantes und choreographiertes Happening heraus. Mit seiner allerersten Herausforderin hatte Andy Kaufman übrigens eine längere Beziehung.

 

Ist das lustig? In Amerika war man darüber geteilter Meinung. Stefan Raab hat diese Woche versucht, die Frage für deutsche Verhältnisse zu klären. Sein Boxkampf gegen die Weltmeisterin Regina Halmich ähnelte spätestens seit der Pressekonferenz dem Kaufmanschen Experiment vor zwanzig Jahren. Raab saß im Gangsta-Outfit auf der Bühne, pöbelte herum, meinte, daß er Make-Up auf seine Handschuhe schmieren würde, damit Regina Halmich bei jedem Treffer schöner würde, wollte auf keine Regeln bis auf die ihre achten und sah sie anschließend im Frauenhaus einziehen. Regina Halmich setzte dann böse Miene zum guten Spiel auf, redete von ihrem Bedürfnis, ihm in seine große Fresse reinzuschlagen, und wünschte sich einen Kampf über die volle Rundenzahl, damit er auch wirklich erfahren würde, was Schmerz wäre. Am Donnerstag trafen sie dann aufeinander und es war weniger spektakulär, als man es sich gewünscht hätte. Weder wurde Stefan Raab ein Überraschungssieger, noch schlug ihm Regina Halmich das Gesicht zu Brei, die beiden einzigen Alternativen, die diesen Kampf zu einem Triumph gemacht hätten. Statt dessen hielt Stefan Raab seine Gegnerin fünf Runden lang mit einem regelwidrig gestreckten linken Arm auf Distanz, wodurch er sich nur ein knappes Dutzend Kopftreffer einfing und nur einmal in die Seile ging.

 

Jetzt noch einmal die Frage, ob das lustig ist? Ja, in einer ganz bestimmten historischen Weise. Es hätte allerdings noch lustiger werden können, wenn Stefan Raab tatsächlich verletzt zu Boden gegangen wäre. Denn auf diesen Moment war die ganze Aktion ausgelegt. Die ganze frauenfeindliche Attitüde im Vorfeld sollte nur dazu dienen, Regina Halmich die Skrupel zu nehmen, dem ihr sehr sympathischen Fernsehmoderator weh zu tun und ihn sogar zu erniedrigen. In gewisser Weise war es also Fürsorge um Regina Halmich, als Stefan Raab so ausfallend gegen sie wurde, denn damit nahm er Kritikern den Wind aus den Segeln, die Regina Halmich nachher vorgeworfen hätten, sie hätte unverantwortlich gehandelt, als sie voll drauf los ging. Aber Raab brauchte genau dieses Temperament. Denn im Boxring zu Boden zu gehen, wäre die größte Vollendung seiner Clown-Existenz. In wirklich buchstabentreuem Sinn. Ein Clown, wie er im 16. Jahrhundert auf Englands Bühnen stand, bevor eine feudale und dann eine bürgerliche Offensive ihn herunter fegte und in den Zirkus verbannte. Der Clown war der Prügelknabe (!) im Stück, der alles zu erdulden hatte und doch immer wieder aufstand, der durch seine Provokationen alle negativen Affekte auf sich zog und für alles verantwortlich gemacht werden konnte. Indem man ihn verprügelte, wurde man von diesen Affekten befreit und konnte durch seine Auferstehung auch mit positiven Gefühlen aus dieser Katharsis herausgehen. Keine Trauer verdarb die Selbstreinigung. Und der Clown ging trotz seines provokanten Wesens als Sympathieträger von der Bühne. Aber nur, wenn er auch verprügelt worden war.

 

Der russische Kultursemiotiker Michail Bachtin hat diese Volkskultur an Rabelais’ Gargantua und Pantagruel beschrieben und sie mit dem Attribut „karnevalesk“ versehen. In seiner Deutung wird durch solche Erniedrigungen dem vergehenden Leben ein Spiegel vorgehalten, es wird ihm gezeigt, daß es einen historischen Tod sterben muß. Auf diesen Tod folgt jedoch die Wiedergeburt, das neue Jahr, ein neuer Frühling und eine neue Ernte. Der Erniedrigung wird deshalb mit einem Lob geantwortet, Beschimpfung und Lob sind zwei Aspekte ein und derselben zweileibigen Welt. Stefan Raab als einen karnevalesken Künstler zu verstehen, hat schon aufgrund seiner Kölner Herkunft eine gewisse Plausibilität. Im Kölner Karneval gibt es den Brauch der „Nubbel-Verbrennung“, das Aufhängen einer Strohpuppe über der Kneipentür, auf die am Aschermittwoch alle Sünden geladen werden und die dann durch ihren symbolischen Feuertod alle von ihren Verfehlungen befreit. Als Punching-Bag für eine Profiboxerin konnte Stefan Raab in gewisser Weise die Rolle eines Nubbels einnehmen, der sterben muß, weil er die negativen Empfindungen und Handlungen seiner Umwelt verkörpert.

 

Eigentlich wollte Stefan Raab diese Rolle schon immer einnehmen. Seine ganzen Fernsehunternehmungen folgen diesem Prinzip. Sein Herauspicken von Peinlichkeiten im Fernsehen und sein enervierendes Darauf-Herumreiten sollen genau diese Erniedrigung darstellen, die zu einem gereinigten Auferstehen führen soll. Das Lächerlichmachen ist seine Form der Wertschätzung. Denn in den peinlichen Momenten ist das Fernsehen am authentischsten, es versöhnt den Zuschauer mit seinen Überheblichkeiten und gibt sich die Möglichkeit, wieder unbefangen gut zu sein. Dem Werbesprecher Stefan John oder dem Klischee-Akzent-Franzosen Gerald Wespisier wird deshalb im Verlachen Würde verliehen. Dummerweise erkennen wir es nicht so richtig. Diese katholische karnevaleske Weltsicht stößt im preußisch-protestantischen Deutschland auf moralische Bedenken. Das, was wir lustig finden, ist eine extrem affektmodulierte und sublimierte Form der Erniedrigung, wir benötigen eine Pointe, die auf textueller Ebene einen Sachverhalt zerstört und wiederherstellt. Das ursprünglich Leibliche des Humors ist uns fremd geworden. Dadurch kommt uns TV total manchmal vor wie das gelangweilte Herumsitzen mit alten Schulfreunden, wie es Markus Nix treffend beschreibt. Alles, was einem einfällt, ist, die alten Geschichten durch das bloße Erwähnen von Schlagworten heraufzubeschwören. TV total wird dadurch zu einer „virtuellen Comedy“, Raab etabliert nur die Gemeinplätze und man lacht darüber, daß man gut aufgepaßt hat und alles lustig wiedererkannt hat, was als lustige Aufgabe aufgegeben worden ist. Also kein Verlachen, um neu beginnen zu können, sondern ein Lachen, weil man lacht, die übliche Tautologie des Fernsehens. Aus dem Karnevalesken wird so eine „Verkultung“.

 

Natürlich spielt Stefan Raab bei dieser Rezeption mit, er wäre auch schlecht beraten, wenn er es nicht ausnutzen würde. Sein eigentliches Metier ist allerdings „Raab in Gefahr“. Die immer neue Möglichkeit, eine Situation herauszufordern, die ihn zu Boden drückt, damit er das Stehaufmännchen bleiben kann. Es ist auffällig, daß er sich seinen Standards immer mehr entzieht. Das, was populär geworden ist, besitzt nicht mehr diesen regenerativen Charakter, sondern es ist zu einem statischen, unveränderlichen Moment geworden. Seitdem das Publikum „Pulleralarm“ schreit, gibt es keinen mehr. Seitdem man „Respekt“-Kellen als Merchandising-Produkt erwerben kann, wird sie in der Sendung nicht mehr ausgefahren. Und kaum waren die Ö-Lapalöma-Boys, Regina Zindler oder der Bierkanzler als Singles erfolgreich, verschwanden sie auch von der Nippelkonsole. Das Lächerliche war durch den Erfolg zum Erhabenen geworden. Der große Erfolg von TV total, der zu einer Vervierfachung der Sendezeit und zu einer eigenen Programmzeitschrift führte, hat den Clown Stefan Raab beinahe zum Verschwinden gebracht. „Raab in Gefahr“ versinkt immer mehr in einem Wust von Promi-Auftritten und „Raab der Woche“-Nominierungen, nicht selten ist sogar keine Zeit mehr dafür. Weniger Tennisspiele gegen John McEnroe, weniger Kegelabende mit dem Verein „Die Muschis“, weniger Bobfahrten und Kampfschiffbesuche. Dafür mehr langweiliges Product-Placement von Gina Wild, Kai Böcking oder diversen Neu-Moderatorinnen. Der Boxkampf war nun ein großer Befreiungsschlag. Der Versuch, die enorme Popularität dazu zu nutzen, sich selbst symbolisch zu demontieren. Nicht nur Raab in Gefahr zu bringen, sondern ihn in dieser Gefahr auch umkommen zu lassen.

 

Leider, leider blieb er dann stehen. Hätte es länger gedauert, dann wäre er wohl umgekippt, aber nicht, weil ihn die Schläge von Regina Halmich ausgeknockt hätten, die hat er erstaunlich gut einstecken können, sondern weil er aus Konditionsschwäche zusammengebrochen wäre. Der eigentliche Triumph wäre allerdings ein echter, vom Ringarzt bestätigter K.O. gewesen. Mit Nasenbeinbruch und zugeschwollenen Augen. So fielen sich die beiden Kontrahenten mit dem Schlußgong in die Arme, er ließ sich noch von ihr küssen und beide waren sichtlich froh, daß es so glimpflich ausgegangen ist. Vielleicht hat Stefan Raab aber dadurch, daß er nicht alles riskiert hat, auf lange Sicht seine Karriere riskiert. Denn als was soll er sich jetzt feiern lassen? Als derjenige, der fünf Runden mithalten konnte? Er kommt aus dem Kampf als jemand, der auch in einer solchen Situation sich einigermaßen aus der Affäre ziehen kann. Der für einen 5. Platz beim Grand-Prix gut ist, aber nicht für den ersten oder letzten. Der in fünf Boxrunden stehen bleibt und auch ein bißchen aus der Nase blutet, der jedoch haushoch nach Punkten verliert. Das ist nicht sexy. Auf diese Weise ist Stefan Raab nie gut für einen Triumph, für den eines Sieges ja sowieso nicht, aber noch nicht einmal für den einer grandiosen Niederlage.

 

© Mathias Mertens, 2001
   

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