# 24 (1. April 2001)
 

Das Fernsehen. Unendlicher Programmstrom. Dies sind die Geschichten dreier Männer, die mit ihrer Science-Fiction-Serie drei Jahre lang unterwegs waren, um immergleiche Pappmaché-Planeten zu erforschen, mit ihren Brustabzeichen zu reden und Uniformen zu tragen, die nie ein Mensch zuvor gesehen hatte. Beziehungsweise, wie es im amerikanischen Originaltext heißt, kühn dorthin zu schreiten, wo noch nie zuvor ein Mann gewesen ist. Genauso kühn, wie der Schöpfer dieser Serie, Gene Roddenberry, einst als Streifenpolizist in die Bar schritt, in der sich Hollywoods Agenten trafen und dem größten von ihnen einen Umschlag in die Hand drückte, mit dem Hinweis, den Inhalt besser genauestens zu studieren. Statt einer Vorladung fand der Agent jedoch ein Drehbuch in dem Umschlag, und 24 Stunden später stand Roddenberry unter Vertrag. Eine wunderschöne Geschichte. Weil wir uns so gut mit diesem Autor identifizieren können, der sich und seine Familie mit Polizeidienst über Wasser hielt, und der sich durch die ganze Verbitterungsmaschinerie des Kulturbetriebs durchbiß und zum entscheidenden Schlag ansetzte. Wo wir aber gleichzeitig auch denken, tja, wäre ich nur Polizist, dann könnte ich auch irgendwo reinmarschieren und Leute zwingen, mein Material zu lesen, dann hätte ich ja keine Probleme. Dieselben Identifikationsmuster liegen Star Trek zugrunde. Tja, hätte ich doch bloß das Beamen / den Tricoder / einen Phaser / einen ersten Offizier Spock / einen Warp-Antrieb, dann könnte ich mich auch immer so aus der Scheiße ziehen, wie Kirk es immer tut. Hätte ich doch bloß Gene Roddenberry, der das Drehbuch zu meinem Leben schreibt, dann lebte ich im befriedeten Alpha-Quadranten, beschützt von der Föderation, wäre vielleicht auf die Sternenflotten-Akademie gegangen und müßte nicht mit einem popeligen Germanistik-Magister (wie das schon klingt) in der Tasche, eine Formbrief-Absage nach der anderen aus dem Briefkasten ziehen.

 

Eigentlich geht es hier aber gar nicht um Gene Roddenberry. Denn Star Trek ist im Moment nicht besonderer als sonst, sie wird dieses Jahr 35 bzw. 37 Jahre alt, je nachdem, ob man die Fertigstellung des Exposés oder die Ausstrahlung der ersten Folge als Geburtstermin versteht. Sondern es geht um die Gesichter, die Gene Roddenberry seiner Serie gegeben hat. Und die in metonymischer Verwechslung gleichbedeutend mit ihr geworden sind. Einer derjenigen, der eines dieser Gesichter beisteuerte, hat zwei sehr schöne Bücher über genau dieses Phänomen geschrieben. Ich bin nicht Spock verkündete Leonard Nimoy in den Siebzigern, um zwanzig Jahre später reumütig einzusehen Ich bin Spock. Denn wie er gleich zu Beginn zugibt, führt er manchmal Gespräche mit einem ganz speziellen Teil seiner Selbst. Wenn die Leute ihm sagen „Leonard, wir lieben Dich“, dann ist er versucht, zu sagen „Ich werde es ihm ausrichten, wenn ich ihn sehe“. Denn jedes Kompliment sieht er über seine Schulter an jemanden gerichtet, der immer hinter ihm geht. Jemand mit spitzen Ohren. Mit hochgezogener Augenbraue. Nur die wirklich großen Ikonen lassen sich mit solchen Minimalbeschreibungen aufrufen. Eine blonde Frau mit hochgewehtem weißen Kleid. Ein Mann mit Melone, einem gebogenen Stock und Hitlerbärtchen. Zwei spitze Zähne und ein mit Samt ausgeschlagener Umhang. Eine schwarze Maske und ein Degen. Genauso überzeugend erfüllt Gene Roddenberrys Spock die minimalistische Forderung, daß die Form der Funktion folgt (oder umgekehrt?). Deshalb identifiziert man diese Figur nicht mit ihrem Schöpfer, wie man es sonst gerne macht, sondern mit ihrem Medium. Die Botschaft ist das Medium. Und dieses Medium ist Leonard Nimoy.

 

Aber auch wenn sich Ikonen auf ihre geniale Bildwirkung reduzieren lassen, so funktioniert es doch nur, weil sie auch einen ganz bestimmten Inhalt transportieren. Im Falle von Spock ist es der Ausgang des Menschen aus seiner triebgesteuerten Unmündigkeit. Spock ist nicht nur Ohren und Augenbrauen, sondern er sagt auch zwei Worte: Faszinierend und (Das ist) unlogisch. Er ist ein Wesen, das nur aus Intellekt besteht, ein Sieg der Ratio über den Instinkt, die reine Vernunft. Spock erlebt Gefahrensituationen als stochastische Gleichungen und seinen eigenen Tod als faszinierende Erfahrung. Wichtig an ihm ist aber, daß er zur Hälfte Mensch sein soll. Denn dann ist sein Verhalten nicht nur automatischer Phänotyp eines festgelegten Genpools, sondern es ist das Resultat eines Kampfes, in dem der Vulkanier schließlich den Menschen besiegt hat. Für uns das Signal, daß wir es mit Willenskraft vielleicht auch schaffen könnten, zum Intellektuellen zu werden. Intellektuell sein, d. h. wie Spock zu sein, ist sexy. Es verblüfft zunächst, doch die Information, daß Spock ursprünglich eine rote Hautfarbe und einen Schwanz haben sollte, macht es klarer. Spock ist der Geist, der stets verneint und doch so viel Gutes schafft. Er ist Mephistopheles. Beziehungsweise der nach außen projizierte mephistophelische Anteil am menschlichen Charakter. Die Stimme in uns, die uns rügt, wenn wir mal wieder den Augenblick zum Verweilen einladen und uns nicht weiter strebsam um Erlösung bemühen.

 

Das wird noch deutlicher, wenn wir die Figur hinzunehmen, von der Spock differiert und erst zum eigentlichen Intellektuellen wird: James T. Kirk. Eine Figur, mit der ihr Medium William Shatner nicht unbedingt von anderen verwechselt wird. Dafür tut er es. Und ist oft ein bißchen klein für ihr Format. Manchmal hat man den Eindruck, William Shatner gelang es nur mit Hilfe eines Korsetts die safrangelbe Nikki-Uniform wohlgeformt und kraftstrotzend zu füllen. In geschickter Dialektik erfüllt Shatner damit aber die schauspielerische Aufgabe, die ihm durch Roddenberry gestellt wurde. Denn auch die Figur Kirk ist eigentlich zu klein für die Figur Kirk. Jim, wie ihn sein Über-Ich Pille immer nennt, nimmt den Mund immer viel zu voll, traut sich immer viel zu viel zu, ist unbeherrscht und egoman. Charismatisch ist sie nicht. Kirk ist hauptsächlich eine narrative Funktion, er sorgt mit seiner Energie für Verwirrungen, die sich zu Geschichten auswachsen können. Er muß das Gegenteil zur Ratio Spocks sein, denn nur so kann der sich als überlegen erweisen, hätte er von Anfang an das Kommando, gäbe es keine Probleme und wir würden ihn nicht als so schätzenswert erkennen.

 

Den Kundigen hat Gene Roddenberry mit Kirks zweiten Vornamen einen Hinweis gegeben, indem er ihn nach dem römischen Kaiser Tiberius benannt hat. Tiberius war nur zweite Wahl bei der Besetzung des Kaiserpostens nach Augustus’ Tod, der Wunschkandidat, sein Bruder Drusus, war in Germanien gefallen. Zu allem Übel hatte Augustus dafür gesorgt, daß Tiberius’ Mutter Livia ihm als Kaiserin zur Seite stehen mußte. Wie Sueton berichtet, „vermied er einen ständigen Verkehr mit ihr, ebenso längere Gespräche unter vier Augen, um nicht den Anschein zu erwecken, als ließe er sich von ihrem Rat leiten, den er doch manchmal brauchte und dann auch gewöhnlich befolgte.“ Klingt vertraut.

 

Wenn Spock der Geist ist, der stets verneint, so ist Kirk derjenige, der Mensch ist, wenn er Mensch sein darf. Wie langweilig. Aber: wie notwendig. Wir werden zwar immer an den weißen Kahlschädel von Gustaf Gründgens denken, wenn der Titel Faust erwähnt wird, aber trotzdem hat Will Quadflieg seine Sache auch gut gemacht, nämlich Gründgens zu inszenieren. Die Figur gibt es nur, weil es einen Hintergrund gibt, der sich davon abgrenzt. Bei Star Trek spielte sich der Hintergrund zwar immer in den Vordergrund, die eigentliche Figur stand aber immer hinten auf der Galerie und guckte in dieses futuristische Stereoskop, das da in die Konsole gerammt war. Kirk und Spock sind das nach außen projizierte existentielle Drama, zwei Seelen einer durchs Korsett hochgeschnürten Brust. Ein freudianisches oder, besser, jungsches Theater. Denn die „First Generation“ zeichnet sich gegenüber all ihren Nachfolgern dadurch aus, daß sie sich in jeder Folge mit den Archetypen auseinandersetzen muß, die unserem Menschsein zugrunde liegen. Deshalb die immergleiche Styropor-Planetenoberflächen-Kulisse, denn es ist immer unsere Seele, in der es tobt, deshalb die Götterfiguren, die Indianer, die Chicago-Gangster, die Nazis (wobei diese Folge in Deutschland bisher nicht gezeigt werden durfte). Der Gegner war immer die eigene Angst, die eigene Schwäche, das eigene Laster in unterhaltsamer symbolischer Verkörperung. Star Trek beerbte und perfektionierte somit den legendären psychoanalytischen Science-Fiction-Film Forbidden Planet mit dem späteren Nackte Kanone-Star Leslie Nielsen, der sich gegen dasselbe zur Wehr zu setzen hatte. Dort wurde es dem Zuschauer aber leider erklärt. Deshalb konnte er nicht so ins Kollektive Unterbewußtsein sacken.

 

Seit einigen Tagen sind Leonard Nimoy und William Shatner nun 70 Jahre alt. Als hätten sie geahnt, in welch symbolträchtiger Abhängigkeit sie sich später in ihrem Leben befinden würden, kamen sie unmittelbar nacheinander zur Welt. Wie nicht anders zu erwarten, drängte sich William Shatner hier schon in den Vordergrund und wurde zuerst geboren, am 22. März 1931 in Montreal. Leonard Nimoy hielt sich klug zurück und trat vier Tage später, am 26. März auf die Bühne. So konnten die Leute des Kirkschen Hansdampfens schon überdrüssig sein und das grünblütig überlegene Danebenstehen als die erfrischende Alternative begrüßen. Die Hälfte ihres Lebens haben sie jetzt schon in Interferenz verbracht. Als Schauspieler konnten sie uns noch nie begeistern, alles, was wir wollten, war ihre Medienfunktion für zwei bestimmte Stereotypen. Das konnten sie immer schlechter leisten. Denn diese Stereotypen altern nicht, die Medien schon. Die Star Trek-Kinofilme wurden deshalb immer schlechter, konnten sich nur retten, wenn sie sich durch Selbstironie in einen Diskurs über sich selbst beförderten. Leonard Nimoy und William Shatner durften in ihrem Leben nie etwas anderes sein als zwei Stereotypen, das war die Grundlage unserer Liebe. Das Alter hat sie aber langsam davon befreit. Jetzt mit 70 sind sie tatsächlich nicht mehr Spock und Kirk. Die bewegen sich mit Überlichtgeschwindigkeit und altern nach den Einsteinschen Gleichungen deshalb nicht. Mit 70 sind sie endlich wieder Nimoy und Shatner. Es ist ihnen zu gönnen.

 

© Mathias Mertens, 2001
   

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