# 34 (5. August 2001)
 

Requiem für Michael Schmidt-Ospach – Der Kulturweltspiegel ist jetzt Else

 

All jenen, die es in den letzten Monaten geschafft haben, einen Kulturweltspiegel-Entzug zu machen, muß eine schlechte Nachricht überbracht werden. Den Designern in ihren Labors ist es gelungen, alle Zutaten neu anzurühren, durchzukochen und mit neuen Ingredienzien so zu strecken, daß eine neue Modedroge entstanden ist. Im Wesentlichen der gleiche Wirkstoff wie vorher, in Farbe und Konsistenz identisch, er törnt jedoch mehr an und, am allerwichtigsten, er ist von den furchtbaren Nebenwirkungen befreit worden, deretwegen man damals den Entzug begonnen hatte. Also immer noch die kubistische Laufschrift in Honigtönen unterlegt von einer Musik als hätte Beethoven die Erkennungsmelodie für eine Krimiserie komponiert. Immer noch sonore Sprecherstimmen in 6-Minuten-Beiträgen, in denen sich abgefilmte Photos mit verlangsamten Touristenansichten von Plätzen und Interviewfetzen abwechseln. Immer noch ein Mensch hinter Teleprompter vor Bluescreen, auf die man die kubistischen Ansichten des Vorspanns gelegt hat. Kultur! Die der ganzen Welt! Und hineingespiegelt in die kleinen, geschmacklos eingerichteten, mit erbärmlichen Kunstdrucken geschmückten, spärliche und schlechtsortierte Buchbestände beinhaltende Wohnzimmer unseres Landes.

 

Alles gleich – bis auf eines: Else Buschheuer ist jetzt die Moderatorin. Und wie wichtig diese Veränderung ist, zeigt der Aufruhr, der im deutschen Printbetrieb dadurch ausgelöst worden ist. Wie schon im Fall von Marietta Slomka (wir berichteten) geht es darum, daß man gleichbleibenden, objektivierten und relativ nichtssagenden Inhalten eine neue Form gibt, eine neue Stimme, mit der sie verkündet werden, ein neues Gesicht, mit dem man sie verbinden kann. Auch wenn die Moderatorin nichts mit der wochenlangen Entstehung der Sendung zu tun hat, sondern kurz vorher einfliegt, um schnell ein paar gefällige Texte zu den Beiträgen zu formulieren, es entsteht doch die Fiktion, daß sie uns alles erzählt, daß sie sich Gedanken darüber gemacht hat, was uns gefallen könnte, und sofort alles arrangiert hat. Da hat man mit Else Buschheuer tatsächlich einen Coup gelandet. Eine ehemalige Wetterfee, Autorin eines Beinahe-Satire-sowie-Porno-Romans, Autorin eines anspruchsvollen Pubertätsromans, Kolumnistin vom Tagesspiegel, Internetaktivistin, dazu aus dem Osten; dieser ganze imposante Klappentext macht uns wieder neugierig, den Kulturweltspiegel anzugucken. Wir wurden nicht enttäuscht. Es war frisch, erfreulich wenig fromm, genau im richtigen Maß fröhlich und relativ frei. Gottseidank mußten wir nicht weiter drüber nachdenken und konnten gelöst ins Bett gehen.

 

Wenn das Redaktionelle und Ästhetische am Kulturweltspiegel gleich geblieben ist und nur Else Buschheuer neue ist, bedeutet es, daß es vorher nur einen einzigen Grund gab, das Zuschauen einzustellen. Ihren Vorgänger in der Moderation. Michael Schmidt-Ospach. Ganz sicher ein tadelloser Mensch, jemand, mit dem man gerne befreundet wäre, weil man mit ihm stundenlange Gespräche über Theateraufführungen, Romane oder Kunstausstellungen führen kann. Ein hervorragender Kenner der Filmszene, was er jetzt auf seinem neuen Posten in der Filmförderung beweisen kann. Ein kultivierter Liberaler, ein Hedonist mit Esprit, ein geistreicher Gesprächspartner. Alles möglich. Aber als Moderator eine Katastrophe. Weil er uns immer das Gefühl gab, daß wir aus Mitleid gucken. Er war wie jene idealistischen, grundguten Lehrer, die seit 25 Jahren vor desinteressierten Schülern gestanden haben und dennoch an ihrem gutmütigen, aufklärerischen Programm festhalten. „Kultur ist spannend, wirklich, ich weiß, wenn ihr nur mal richtig zuhört, dann werdet ihr feststellen, wie viel Lessing euch heute noch mitteilen kann, echt,“ hört man ihn reden. Gleichzeitig sieht man jedoch die Resignation, die er standhaft vor sich selbst leugnet, durch jede Pore seines Gesichts strömen, die Augen müde und leer machen, die Schultern niederdrücken. Er tut uns so leid, wie er da mit seiner Lebenslüge steht, deshalb wollen wir zuhören, ihn ein bißchen unterstützen. Auf Dauer gelingt es jedoch nicht. Wer will schon hören, wie glücklich einen die Lektüre Lessings machen kann, wenn man sich so schlecht dabei fühlen muß. Dann schwänzt man eben, weil das humaner ist, als in seiner Klasse rumzulärmen und Skat zu spielen.

 

Der Kulturweltspiegel war genauso erleichtert wie wir, daß man nicht mehr aus Mitleid gucken muß, und ergötzte sich an dieser neuen Erscheinung, die da vor der Kamera stand. Wo es früher bestenfalls die amerikanische Einstellung (Scheitel bis Colt) auf Michael Schmidt-Ospach gegeben hat und er ansonsten schüchtern als angeschnittenes Brustbild aus dem Kader zu kippen drohte, da stolzierte nun eine grazile, großgewachsene und aufrechte Gestalt durch weitläufige Totalen, ging auf uns zu und zwang uns unmerklich ihren Willen auf. Im Plauderton des Pro7-Wetterberichts, der auch unaufdringlich menschelnd beginnt, um uns dann die harten Fakten der näheren Zukunft aufzutischen, bereitete Else Buschheuer uns auf Umberto Ecos neuen Roman oder ein Architektur-Kunstwerk in der Wüste von Arizona vor. Statt eines verzweifelten Deutschlehrers haben wir nun eine autoritäre Jung-Unternehmerin vor uns, die uns vermittelt, daß wir eine Menge verpassen würden, wenn wir nicht zuhören, daß es ihr aber scheißegal ist, weil wir völlig austauschbar sind. Da draußen gibt es Tausende, die von ihr kultiviert werden wollen, wir sind nicht weiter wichtig. Natürlich bleiben wir sitzen und saugen jede Sekunde der trockenen Berichte begierig in uns auf.

 

Darüber hinaus ist es Else Buschheuer gelungen, daß sich auch die Redaktion ihrer Persönlichkeit gebeugt hat. Sie hat nicht bloß eine Stimme und ein Gesicht zu vorgegebenen Inhalten beigesteuert, sondern die Inhalte folgten ihrer Person, wie bewußt auch immer. Schon der erste Beitrag über Catherine Millets Beschreibungen ihrer zahllosen, wahllosen Geschlechtspartner zielte genau auf das Image der Ruf!Mich!An!-Autorin und ihrer Mösenprosa. Weil man schon drinsteckte, wurden die Top-Ten-Filmlisten des Buchs und der Internetseite www.else-buschheuer.de zu einem Feature über Werner Herzog zusammengedampft, das Else Buschheuer auch sehr persönlich anmoderierte. Vollends ausgelutscht wurde dieses Image dann im Bericht über die Verfilmung von Helen Fieldings Bridget Jones. Endlich wissen wir, woher die Inspiration zu Buschheuers kolumnenartigen Buch über eine neurotische Neureiche in Berlin kommt. Auch wenn es gar nicht stimmt, durch die Verbindung von Moderatorin und Bericht über die als Kolumnen geschriebenen Tagebucheinträge einer Neurotikerin war diese Assoziation hergestellt. Schon unheimlich, welchen Eindruck Else Buschheuer auf das ganze System „Kulturweltspiegel“ machen konnte. Aber eigentlich Glück für uns Zuschauer.

 

Am Kulturweltspiegel läßt sich im Kleinen beobachten, was gerade im großen Kulturbetrieb allerorten passiert. Früher gab es Generationenkonflikte, in denen die Jüngeren gewaltsam das Establishment stürzten und auf verbrannter Erde ihre völlig neuen Positionen schufen. Dabei blieb es dann aber auch. Selbstgefällig erstarrte man immer mehr in der ultimativen kreativen Freiheit und nutzte sie zum Nichtstun und Sich-Selbst-Bestätigen. Die erkämpfte Autonomie und Selbstverwaltung wurde dazu genutzt, seine Arbeitskollegen ins Abseits zu manövrieren, die eigenen Seilschaften zu installieren und das eigene Budget durch Kürzungen bei anderen zu erhalten. Man jammert über zuwenig Gebühreneinnahmen, während man unter der Hand Gelder in eigene Budgets umlenkt, die zur Förderung von Kulturkanälen gedacht sind. Man betreibt als Mitglied des Aufsichtsrats die Wahl der eigenen Person zum Chef der Institution, über die man die Aufsicht führt. Wenn dann junge Leute nicht aufmüpfig sind, keine neuen Inhalte durchsetzen wollen, sondern ihre Kreativität dafür einsetzen, genau das öffentlich zu tun, was ihre Eltern hinter der Hand taten, nämlich ihre Interessen durchzusetzen, dann wird das als inhaltsleeres Popgewäsch geschmäht. Allerdings wurden die in ihren Augen „ernsthaften“ Bemühungen dieser Nachwuchsleute jahrelang von ihnen ignoriert, mit Formbriefen erstickt, mit gönnerhaften Jurykommentaren klein gemacht. Pop ist heutzutage die einzige Möglichkeit, um überhaupt auftauchen zu können. Steckt der Kopf dann erst einmal über der Wasseroberfläche, dann kann man auch einen ernsten Roman und eine Kultursendungsmoderation hinterherschicken, denn jetzt hören alle zu. Es lebe also Else Buschheuer, die Jeanne d’Arc des Generationenwechsels.

 

P.S.: In dem Beitrag über Umberto Ecos neuen Roman Baudolino sah man übrigens diese typischen Aufnahmen von mittelalterlichen Recken im Hintergrund. Rüstungen, Schwerter, Burgfriede, Treppen, alles in rot oder gelb angestrahltem Nebel, leicht unscharf und ein wenig in Zeitlupe. Das gibt es immer bei Mittelalterthemen, aber auch, wenn es um Ägypten oder Rom geht, natürlich mit den entsprechenden Kleidungsstücken und Umgebungen. Woher stammt dieses Material? Aus existierenden Spielfilmen wird das kaum genommen worden sein, da müßten Lizenzgebühren oder ähnliches gezahlt werden. Außerdem sieht es zu amateurhaft aus, was dort gespielt wird (deswegen wird es ja auch vernebelt und schlecht beleuchtet). Also müssen die Sender wohl Leute nach Neuschwanstein geschickt haben, damit sie in Faschingskostümen über Treppen rennen und Schwerter schwingen, wahrscheinlich auf Vorrat fürs Archiv, damit man genug Material für die nächsten Jahrzehnte hat. Vielleicht sind dieselben Leute dann auch in irgendeine Sandgrube gefahren, um die Ägypter abzudrehen, und anschließend an der Walhalla die Römer zu geben. Ein toller Betriebsausflug für Volontäre und Azubis. Das sieht man den Bildern seit Jahren an.

 

© Mathias Mertens, 2001
 

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