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# 47 (2. Juni 2002)
Künstliche Größe der Großkunst – Opernsänger im Fußballstadion Gottseidank ist wieder Weltmeisterschaft! Die Zeit der an die Wand gepinnten Tabellen, der persönlichen Fernseh-Stundenpläne, der Vor- und Nachberichterstattungsüberdosen. Günter „Das-haben-sie-genau-richtig-erkannt“ Netzer und Gerhard „Kalauer“ Delling im ersten, Dieter „Poschi“ Poschmann mit diversen Ex-Nationalspielern und –traineranwärtern auf dem vom Berliner Fremdenverkehrsverein gestellten Potsdamer Platz, Oliver „Wie sag ich’s am lustigsten“ Welke und Paul „Potato-Fritzen-Paule“ Breitner in dem notdürftig als Fußballshow getarnten Comedy-Versuch auf Sat1 – herrlich! Weil so sinnlos, so überproduziert, so furchtbar ernsthaft unterhaltsam. Das soll hier aber gar nicht Thema sein. Sondern etwas, das in dem Potpourri boulevardesker Themen, dem man im medialen Verlauf eines solchen Turniers begegnet, sehr selten vorkommt: Opernsänger. Dabei sind sie eine der skurrilsten und gruseligsten Erscheinungen dieses Massenspektakels, und der seriöse Sportjournalist hätte allen Grund, sich mit dieser Spezies auseinanderzusetzen, bevor es zu spät ist. Im harmlos scheinenden Kleid der Hochkultur hat da nämlich eine Rasse von Aliens begonnen, die Fußballstadien dieser Welt systematisch zu unterwandern. Doch schön der Reihe nach. Im ersten Nackte Kanone-Film konnte man bewundern, wie Lieutenant Frank Drebin sich als Opernsänger Enrico Palazzo ins Baseballstadion von Los Angeles schleicht, um ein geplantes Attentat auf die Queen von England zu verhindern. Um seine Tarnung nicht auffliegen zu lassen, muß er vor Spielbeginn die amerikanische Nationalhymne anstimmen, was ihm mehr oder weniger schlecht gelingt. Das Publikum ist irritiert über seine krächzenden Höhen und eklatanten Textaussetzer, baut jedoch soviel Sympathie auf, daß es ihm später, als er eine neue Tarnung als Schiedsrichter angenommen hat und erkannt wird, begeistert zujubelt. An diesem Beispiel cineastischer Kultur läßt sich ablesen, wie unangemessen das Belcanto gegenüber dem simplen Liedgut einer Nationalhymne ist und als wie lächerlich es durch diese Brechung entlarvt wird. Das zittrige Herumstümpern in der Tonfolge ist viel volkstümlicher und paßt auch besser zu dem Massenvergnügen im Sportstadion. Sehr schönen Anschauungsunterricht konnte man am vergangenen Freitag beim Auftaktspiel der WM zwischen Frankreich und Senegal erhalten. Statt der sonst üblichen Polizeikapellen, die stark Blechhaltiges zum Besten geben, um dann sofort in der Stadionsicherung eingesetzt zu werden, wurde eine Opernsängerin aufgefahren, um die beiden Nationalhymnen grandios den Milliarden Zuschauern an den Fernsehern zu präsentieren. Weil die Verantwortlichen in den Stationen glauben, die Zuschauer interessiere auch, was die Spieler bei der Seitenwahl sagen, oder was die Trainer auf ihren Bänken grummeln, ist die Rasenfläche ja inzwischen Quadratzentimeterweise mit Mikrophonen ausgestückt. Der Tonregisseur der ARD war durch die Fülle von Tonquellen so überfordert, daß zuhause eine interessante Kakophonie ankam. Vor dem Hintergrund einer fast surrealistisch anmutenden Koloratur grölten die Franzosen Thierry Henry und Sylvain Wiltord so herzerfrischend falsch die Marseillaise, daß es einen vor Freude schüttelte. Ständig changierte die Lautstärke zwischen den schnörkeligen Verzierungen der Sängerin und dem Knarzen der Weltklassestürmer hin und her. Man fühlte sich an den Liederwettkampf in Casablanca erinnert, auch da gewann das Volk mit seiner Version der Marsellaise gegen das militärisch präzise Lied. In diesem Fall waren aber gottseidank keine Deutschen beteiligt. Was haben Opernsänger im Stadion zu suchen? Passen sie nicht viel besser in ihre hochsubventionierten Musiktempel, wo sie historische Kunsterzeugnisse für eine geschichtlich interessierte Klientel angemessen präsentieren können? Eine Opernsängerin im Stadion klingt genauso passend wie eine Gaströte im Opernhaus. Leider bilden hier zwei unterschiedliche Interessen eine unheilvolle Allianz. Auf der einen Seite die durch jahrelanges Hochsaufen in Vereins- und Verbandsitzungen zermürbten Funktionäre, die sich in der Geldadelgesellschaft, in der sie schließlich verkehren, ständig dafür rechtfertigen müssen, daß sie so etwas entwürdigend Proletarisches wie Fußball vertreten. Da müssen Opernsänger als kulturelles Feigenblatt herhalten, damit man allen zeigen kann, wie wichtig Fußball dann doch ist, und der Blattersepp auf der Tribüne mit dem Meier-Vorfelder sanft im Takt hin- und herschwanken. Auf der anderen Seite die durch jahrelanges Hohes C in der Birne weichgepreßten Kulturschaffenden, die immer nur auf dasselbe Abonnentenpublikum starrten, deren Hintern vom Steuerzahler mit 100 Euro pro Backe und Abend zusatzfinanziert ist. Ohne diese Finanzspritzen würde sich doch niemand mehr für sie interessieren, das wissen sie genau, und sind darob verbittert. Welch Wohltat dann, in die Freiheit entlassen zu werden und vor vollen, begeisterten Rängen zu singen. Und sei es nur ein einziges Lied. Diese Erfahrung ist so wunderbar, daß sie gar nicht mehr zurück möchten in ihre Stuck- und Samtpaläste. Statt sich mit den kleinen Hymnen vor Fußballspielen zu begnügen, um sich danach wieder sang- und klanglos zu verkrümeln, blieben sie zum Entsetzen von Funktionären und Zuschauern einfach stehen. Aus einzelnen Knödelstimmen wurden schnell mehrere. Drei, um genau zu sein. Die Altstars Pavarotti, Carreras und Domingo schmissen die Funktionäre und Fußballspieler aus dem Stadion, ließen die Fans auch den Innenraum zertrampeln und servierten ein buntes Potpourri der klassischen Melodien, zündeten ein Feuerwerk der guten Laune, präsentierten ein Programm der Extraklasse, und bedienten auch sonst jedes Eventklischee, das in der Massenkultur so üblich ist. Mit ihrem Superstarnimbus wurden sie schnell zu karikierbaren Typen, eine der wichtigsten Voraussetzungen, um dauerhaften Erfolg zu haben, allen voran dabei Pavarotti, der mit seiner Leibesfülle und seinem weißen Schal so bekannt wurde, daß er glaubte, nun auch mit U2 singen und seine Frau für ein junges Photomodell verlassen zu müssen. Was ein typisch unterbelichteter Popstar eben so aus dem Massenjubel für Schlußfolgerungen zieht. Plötzlich wurden die Nudelportionen und die Badehosenphotos wichtiger als die Tatsache, daß Big P schon seit Jahren nicht mehr zum Hohen C vorgedrungen ist. Aber genau darin erkannten dann unzählige Trittbrettfahrer ihre Chance. Wenn es bei einem anerkannten Könner nicht mehr wichtig ist, ob er Höchstleistungen bringen kann, dann ist es ihre Chance, ebenso erfolgreich zu sein, ohne jemals diese Leistungsspitze erreicht zu haben. Die Tenortrios schossen aus dem Boden und fielen in die Hallen und Stadien ein. Zum Beispiel die „German Tenors“, die sich nicht nur durch ihr verzweifeltes Distinktionsmerkmal „deutsch“ als Nachahmer zu erkennen geben, sondern die auch auf ihrer offiziellen Website www.german-tenors.de eine Rechtfertigung nach der anderen abliefern, warum sie originell sind. Denn hören und sehen kann man es ja nicht. So wird erklärt, daß sie „unisono singen, nicht mehrstimmig“ und daß sie sich dadurch von allen „anderen Tenortrios“ unterscheiden, weil sie „mit drei Stimmen aus einer Seele singen“. Abgesehen davon, daß es nicht verwunderlich ist, daß drei Tenöre nicht mehrstimmig singen, weil man zu diesem Zweck in der Oper gerne einen Bariton, Baß, Sopran, Alt zur Tenorstimme dazugesellt, ist auch das Beharren auf dem Unterschied peinlich. Man hat noch nie gehört, daß Big P & Co. ihren Unterschied zu anderen Trios herausgestellt hätten. Zu allem Überfluß behaupten die „German Tenors“ auch, daß ihnen die Idee zum Ganzen schon 1990 auf einer Geburtstagsfeier gekommen ist. Na klar. Jetzt sind also Big P und die anderen die Nachahmer. Seltsam bloß, daß die ersten nachprüfbaren Auftritte der drei nach den großen Erfolgen der Altherren liegen. Aber egal. So sind eben die Gesetze des Popbusineß. Schade nur, daß die Sportfunktionäre, die diese ganze Entwicklung angestoßen haben, auch wieder auf diese Rationalisierungen hereinfallen und ein großes Feedbacksystem erzeugen. Rudi Assheuer fiel deshalb zur Eröffnung der neuen „Arena auf Schalke“ nichts Besseres ein, als diese „German Tenors“ zu buchen, damit sie knödelig zur Melodie von Go West ihr „Schollköh“ skandierten und die Fans zur Metabegeisterung über diese Peinlichkeit hinrissen. Wenn Nationalität schon als Distinktionsmerkmal herhalten muß, kann auch das Alter dazu dienen. Das sagten sich drei junge Tenöre und nannten sich „Die Jungen Tenöre“. Wohlweislich verschweigen sie in offiziellen Darstellungen ihre Geburtstage, weil sie sich vielleicht als doch nicht so ganz jung herausstellen würden. Dann würde doch ihre Originalität flöten gehen und sie wären ein ganz normale Drei-Tenöre-Plagiat wie alle anderen auch. Zudem sie ja auch german sind, auch das unterscheidet sie nicht mehr. Es geht nur um den Eindruck von Jugendlichkeit, deshalb setzen sie sich zu Stefan Raab und singen ein zartes „Stefan, zeig uns deinen Pullermann“, weil das doch Jugendlich lustig finden, bzw. die Alten denken, daß das Jugendliche lustig finden, worüber sie dann wohlwollend den Kopf schütteln können, die „Jungen Tenöre“ für jugendlich halten und ihre Platten kaufen, weil sie solche Jugendliche dann doch sympathisch finden. Folgerichtig produzierten die „Jungen Tenöre“ jetzt auch eine der grauenhaftesten Verirrungen der Verpoppung von Klassik, den Schocker Schlagergold, auf dem sie so aktuelle MTV- und Viva-Reißer wie Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett, Badewannentango und – unbedingter Anhörtip - Schmidtchen Schleicher zerknödeln. Nachdem es den Sportfunktionären wichtig war, ihr volkstümliches Gekloppe mit Hochkultur aufzupeppen, die Hochkulturellen dann versessen darauf waren, sich zu Vervolkstümlichen, ist es jetzt aber wieder wichtig geworden, dieses Vervolkstümlichte dann seinerseits wieder zu Verhochkultivieren. In Verlautbarungen zu Schlagergold ist dann auch zu hören, daß Arrangeur Jens Naumilkat „das Ave-Maria von Bach-Gounot sensibel in ein opulentes Klangwerk eingebettet“ hat – es handelt sich dabei um Udo Jürgens’ Immer wieder geht die Sonne auf. Das hat Udo Jürgens nicht verdient. Und Herr Bach übrigens auch nicht. P.S.: Weil viel viel hilft, kommen aus Australien jetzt zu allem Überfluß auch die „Zehn Tenöre“, um abzusahnen. Vielleicht wollen sie jetzt beim Singen auch noch Fußball spielen, einer fehlt ja nur noch. Dann wäre die feindliche Übernahme perfekt. © Mathias Mertens, 2002
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